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29. Sep. 2022

FIFA WM 2022: Wie Sponsoren mit öffentlicher Kritik umgehen könnten

An der FIFA WM 2022 in Katar gibt es viel öffentliche Kritik, gerade auch in Deutschland. Laut einer Umfrage will sich die Mehrheit der hiesigen Fußball-Fans die WM überhaupt nicht anschauen und sogar auf den Kauf von Produkten der Sponsoren verzichten. Den Unternehmen fehlt es noch an klaren Strategien, wie sie mit der Kritik umgehen wollen. Dabei gibt es Lösungsansätze für ihr Problem.

Wie so oft im Leben verging die Zeit schneller als gedacht: Als der Fußball-Weltverband FIFA am 2. Dezember 2010 überraschend die Weltmeisterschaft 2022 nach Katar vergab, schienen das Großsportevent im autoritär geführten Wüstenstaat und die damit verbundenen Probleme noch sehr weit weg. Nun steht die WM quasi vor der Tür und die FIFA, die nationalen Verbände wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und auch die Sponsoren sehen sich nach all den Jahren weiter mit starker öffentlicher Kritik konfrontiert. So polterte Ende Juli dieses Jahres der deutsche Nationalspieler Leon Goretzka: „Seit der Vergabe werden die Menschenrechtsprobleme thematisiert, werden Missstände zu Recht kritisiert. Für uns alle ist es ein Unding, dass die Einhaltung der Menschenrechte bis vor wenigen Jahren kein Vergabekriterium war.“ Liverpool-Coach Jürgen Klopp legte Anfang August nach und kritisierte die drohende Überbelastung der Spieler durch den Terminstress, der aus dem ungewohnten Zeitpunkt der Austragung der WM (21. November bis 18. Dezember) resultiert: „Diese WM findet zu einem falschen Zeitpunkt statt und aus falschen Gründen.“

Dass Katar die nötigen Stimmen von FIFA-Funktionären mit Bestechungsgeldern gekauft hat, ist längst bewiesen. Auch die Repressalien gegen Homosexuelle und Frauen in Katar sind seit Langem bekannt und haben sich trotz Beteuerungen der katarischen Regierung, dass es Reformen gegeben habe, unabhängigen Beobachtern zufolge nicht maßgeblich geändert. Größter Kritikpunkt sind aber nach wie vor die katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen der vielen Gastarbeiter auf den Baustellen im Land, durch die zwischen 2010 und 2020 rund 6500 Arbeiter gestorben sein sollen, wie die britische Tageszeitung „Guardian“ im Februar nach einer aufwendigen Recherche berichtete.

Infantino: „FIFA ist keine Weltpolizei“

Die FIFA verteidigte über die Jahre stetig die WM-Vergabe an Katar. So auch Anfang dieses Jahres, als FIFA-Präsident Gianni Infantino den Bericht von den Tausenden toten Arbeitern zurückwies, stattdessen von drei Toten sprach und davon, dass die Arbeitsbedingungen vergleichbar mit denen in Europa seien. Außerdem sei die FIFA keine Weltpolizei, meinte Infantino, der aber eingestand, Katar sei „kein Paradies“. Es müsse sich „noch viel ändern und viel getan werden. Wir müssen den Fokus und den Druck aufrechterhalten, aber anerkennen, dass der Wandel stattfindet“. Dies sei ein „Verdienst des Fußballs. Ohne die Projektionsfläche dieser WM hätten alle Veränderungen nicht stattgefunden“, sagte Infantino. Ohnehin werde das Winterturnier die „beste WM aller Zeiten“, eine „große Show“ und zudem „zur besten Jahreszeit gespielt“.

Rein aus Business-Sicht mag das sogar so stimmen. Vor dem Hintergrund weiterer Berichte seriöser Quellen wie Amnesty International zu Menschenrechtsverletzungen wirken diese Aussagen aber zynisch und menschenverachtend. So verwundert es nicht, dass deutsche Fußball-Fans mehrheitlich äußerst kritisch gegenüber der FIFA und der WM in Katar eingestellt sind und sich nicht auf die WM freuen. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls eine Online-Umfrage der Voting-Plattform FanQ: 89,3 Prozent der 3429 befragten Fans bewerteten im Mai ihre Vorfreude nur mit einem oder zwei Punkten auf einer Skala von eins bis fünf. Und knapp zwei Drittel (65,5 Prozent) wollen die WM nicht live verfolgen (siehe Grafik unten); bei den 30- bis 39-Jährigen sind es sogar 74,9 Prozent. Da diese Umfrage-Ergebnisse methodisch sauber bei einer repräsentativen Stichprobe deutscher Fußball-Fans erhoben wurden, sollten sie von der FIFA, aber auch vom DFB ernst genommen werden.

Denn 92,4 Prozent sind der Meinung, dass der DFB es nicht schafft, die Probleme bezüglich der Menschenrechte in Katar klar zu benennen. Und dass, obwohl der DFB diesbezüglich durchaus ein paar Aktionen durchgeführt hatte, zum Beispiel im März 2021, als die deutsche Nationalmannschaft der Männer vor den WM-Qualifikationsspielen T-Shirts trug, auf denen die Einhaltung der Menschenrechte gefordert wurde. Die Umfrage-Ergebnisse von FanQ sind auf jeden Fall kein gutes Zeugnis, das den Verbandsfunktionären aus Frankfurt ausgestellt wird – vor allem beim Blick auf das zweite Umfrage-Ergebnis: Für 80,6 Prozent würde sich ein kritisches Auftreten der DFB-Spitze positiv oder sehr positiv auf ihre Einstellung zum DFB auswirken. Chance vertan, muss man da wohl sagen. Zumindest vorerst.

WM-Sponsoring mit negativer Wirkung auf Image und Kaufbereitschaft

Auch die Sponsoren haben ein Problem: 71,3 Prozent sind der Meinung, dass sich ein Sponsoring der WM negativ oder sehr negativ auf das Image der Sponsoren auswirkt (siehe Grafik unten). Und 58,2 Prozent geben an, dass sich ein Sponsoring der WM „eher negativ“ oder „sehr negativ“ auf die eigene Kaufbereitschaft von Produkten des Sponsors auswirkt. Kilian Weber, Geschäftsführer von FanQ, findet die Ergebnisse „in dieser Deutlichkeit schon bemerkenswert“. Auch wenn man die Ergebnisse zum Teil einordnen muss: „Natürlich ist dies ein Stimmungsbild und das tatsächliche Verhalten der Fans kann nachher noch abweichen. Wenn zum Beispiel Deutschland im Halbfinale gegen eine Top-Nation wie Brasilien spielt, bleibt abzuwarten, ob dann nicht doch auch die kritischen Fans einschalten und mitfiebern.“ Und hinsichtlich des angekündigten Konsum-Boykotts von Produkten der Sponsoren: „Für die kritischen Fans ist es leicht, auf die Produkte der Sponsoren zu verzichten und die der Konkurrenz zu kaufen.“ Weber glaubt dennoch, dass sich merklich weniger Menschen für diese WM interessieren werden als für die vorherigen Welt- oder Europameisterschaften. „Dass es kein Public Viewing in dem inzwischen gewohnten Maß geben wird, hat darauf sicherlich auch einen Einfluss.“

Selbst mit relativierenden Einordnungen bleibt die grundsätzliche Aussage der Umfrage-Ergebnisse deutlich: Gerade Fußball-Fans in Deutschland stehen der WM in Katar überaus kritisch gegenüber und damit auch den mit der Veranstaltung verbundenen Akteuren FIFA und DFB. Und selbst deren Sponsoren stehen wegen ihres Engagements in einem schlechten Licht. Für SPONSORs-Leser stellt sich damit vor allem die Frage, was die Unternehmen tun können. Wie sollten sie mit der öffentlichen Kritik umgehen? Was aus der Sicht der Fußball-Fans ein passender Umgang eines Sponsors mit der WM in Katar wäre, hat FanQ ebenfalls erfragt: Mit 70,4 Prozent spricht sich die Mehrheit für einen kompletten Verzicht von Sponsoring aus. Nur 16,9 Prozent sind für Sponsoring, aber mit Teilnahme an Protestaktionen. 6,7 Prozent sind für Sponsoring, aber ohne begleitende Werbeaktionen wie Gewinnspiele oder Ähnliches (siehe Grafik). Würden die Sponsoren tatsächlich auf ihr Sponsorship verzichten, erwarten 56,3 Prozent, dass sich das „eher positiv“ oder „sehr positiv“ auf das Markenimage der Unternehmen auswirken würde. Wieder ein klares Votum der Fans. Aber ist das für die Sponsoren ein gangbarer Weg? Dass sie trotz investierter Sponsoringgelder im bis zu zweistelligen Millionenbereich auf jegliche Aktivierung verzichten oder sogar dazu noch auf die eingekaufte Werbepräsenz auf den Banden in den Stadien, auf den Interview-Wänden und allen weiteren Werbeflächen?

Sponsoren äußern sich nicht gegenüber den Medien

Die Sponsoren haben sich bisher kaum oder gar nicht öffentlich zur Kritik an der WM in Katar oder ihrem Umgang damit geäußert. Zwar gingen etwa die langjährigen FIFA-Partner Coca-Cola und Visa im Jahr 2015 mit bemerkenswert deutlichen Stellungnahmen an die Presse, in denen sie sich „besorgt über die Berichte in Katar“ zeigten und forderten, „dass die FIFA diese Probleme weiterhin ernst nimmt und auf weitere Fortschritte hinarbeitet“. Danach kam dann aber nichts mehr. Stattdessen wurden die Verträge mit dem Weltverband verlängert. SPONSORS hat mehr als ein Dutzend Sponsoren der FIFA und des DFB kontaktiert und um Auskunft gebeten: zu ihren Marketing-Plänen zur WM 2022 sowie zu ihrem Umgang mit der oben geschilderten öffentlichen Kritik. Das Feedback war überschaubar. DFB-Sponsor Bwin reagierte gar nicht, das Gleiche gilt für Coca-Cola, Hisense, Visa, Vivo oder Volkswagen. Engelbert Strauss erteilte ohne Begründung schriftlich eine Absage, bei der Lufthansa antworteten die Marketing-Verantwortlichen nach einer ersten Rückmeldung der Vorgängerin nicht und Rewe bat „um Verständnis, dass wir das Thema nicht begleiten möchten“.

Ähnliches kam von Ergo. Hyundai Deutschland hatte keine Zeit und verwies auf die Zentrale in Südkorea, wo „das Thema angesiedelt“ sei. Über den mitgeschickten Link findet man eine Mitteilung der Konzernzentrale, in der der Autoproduzent die Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Initiative Common Goal bekannt gibt und erklärt, dass er ihr unter anderem ein Prozent der Sponsoringsumme für die FIFA WM 2022 überweist. Zudem wird auf die Nachhaltigkeitskampagne „Goal of the Century“ verwiesen, die im April „auf dem Weg zur WM“ mithilfe von Testimonials wie dem ehemaligen englischen Fußballnationalspieler Steven Gerrard gestartet wurde. Eine direkte Stellungnahme zur Kritik an Katar findet man auf den ersten und zweiten Blick aber nicht.

Auch von Adidas hieß es recht lapidar: „Aktuell klappt es mit einem Gespräch nicht.“ Jedoch schickte der Sportartikelhersteller noch ein paar Zeilen dazu: „Adidas war nicht in die Entscheidung eingebunden, die WM nach Katar zu vergeben. Adidas stellt seit mehr als 20 Jahren faire Arbeitsbedingungen bei seinen Zulieferern sicher und hat sich in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Partnern auch für die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Katar eingesetzt. Zu den positiven Veränderungen zählen die Einrichtung einer lokalen Niederlassung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als unabhängige Beschwerdestelle, die Stärkung der Rechte ausländischer Arbeitnehmer sowie die Einführung eines nationalen Mindestlohns. Diese Fortschritte, die im Wesentlichen auf die internationale Aufmerksamkeit durch die WM zurückgehen, erkennen auch internationale Gewerkschaften an. Aktuell geht es darum, die erzielten rechtlichen Verbesserungen weiter konsequent in die Praxis umzusetzen.“ An dieser Stelle soll nicht bewertet werden, was diese erwähnten Fortschritte wert sind. Adidas hat einen Sponsoringvertrag mit der FIFA bis 2030 und nicht explizit für die Katar-WM abgeschlossen.

Tatsache ist: Die WM 2022 hat tatsächlich zu einer stark erhöhten Aufmerksamkeit der globalen Öffentlichkeit hinsichtlich der Menschenrechtslage in Katar geführt. Immerhin. Daher sollten die Sponsoren, auch die des DFB, nicht so tun, als wäre das kein Thema für die Öffentlichkeit und für die Kunden, als müssten sie diesbezüglich nicht reagieren oder dazu nicht kommunizieren. Wie also könnte ihre Strategie aussehen?

Lösungsansatz 1: Aussitzen und damit so wenig Schaden wie möglich verursachen

Wer sich nicht äußert, der kann auch nicht von Medien oder der Öffentlichkeit falsch verstanden werden beziehungsweise er bietet erst gar keine Angriffsfläche – so könnte die Überlegung mancher Marketingverantwortlicher aussehen. Zumal Pressearbeit Zeit und Energie kostet. Und die meisten Unternehmen, die bei der WM 2022 Sponsor sind, haben längerfristige Verträge mit dem DFB oder der FIFA, sodass sie dann das Turnier davor und das danach verstärkt für ihre Markenkommunikation nutzen.

Marcel Fahrner von der Universität Tübingen weist darauf hin, dass es unter den FIFA-Sponsoren einige Konzerne gibt, die kein Interesse an Kritik gegenüber Katar oder dem Fußball-Weltverband haben. Der Sportwissenschaftler, der sich vor allem mit Fragen zu Sport Governance sowie der medialen und werblichen Verwertung von Sport auseinandersetzt, nennt Qatar Airways und Qatar Energy als Beispiele. Naturgemäß kein Kritikbedürfnis dürfte zudem das katarische Finanzinstitut QNB Group haben. „Auch die vier chinesischen Firmen werden kein Problem mit der Regierung und den Arbeitsverhältnissen in Katar haben.“ Also die Wanda Group, das Tech-Unternehmen Vivo, der Elektronikproduzent Hisense und der Milch- und Speiseeishersteller und -vertriebler Mengniu Dairy.

Auch die Krypto-Börse Crypto.com, die erst in diesem Frühjahr als Sponsor der WM eingestiegen ist, wird sich nicht mit den finanzkräftigen Katarern anlegen wollen. Fahrner nennt ein weiteres Argument, warum sich Unternehmen wie Coca-Cola, McDonald's oder Anheuser-Busch InBev mit ihrer Marke Budweiser nicht äußern möchten: „Möglich, dass es für solch global agierende Konzerne einfach irrelevant ist, was kritische Fußball-Fans in Deutschland denken. Die haben kommunikativ möglicherweise einen ganz anderen Fokus.“ Auch Volkswagen hat sicherlich Hemmungen gegenüber Katar: Qatar Investment Authority ist mit 17 Prozent der Stimmrechte am VW-Konzern der drittgrößte Anteilseigner nach dem Land Niedersachsen und der Porsche-Holding, die an die Börse strebt – und ausgerechnet mit Katar einen Groß-Interessenten hat. Raphael Brinkert, Mitinhaber der Agentur BrinkertLück Creatives, glaubt ebenfalls, dass diese Verflechtungen von wirtschaftlichen Interessen zur Zurückhaltung der Sponsoren führt: „Fakt ist, dass sich globale Sponsoren kaum trauen, Kritik zu äußern, weil sie eine unfassbar große Abhängigkeit von Problemstaaten besitzen. Wir alle müssen jedoch lernen, dass in einer globalen Welt neben Ökonomie auch Ökologie und Soziales zentrale Verkaufsargumente werden. Die Digitalisierung schafft eine globale Transparenz, die selbst das Abschalten des Internets in Regionen und Ländern nur temporär aushebeln kann.“

Rüdiger Ohl, Managing Partner der Kommunikationsagentur Brands and Emotions, vermutet als Grund für die Zurückhaltung, dass „viele Unternehmen gedanklich noch nicht so weit sind. Zunächst gab und gibt es in jüngerer Vergangenheit eine Krise nach der anderen, auf die man kommunikativ reagieren muss: Finanzkrise, Klimaschutz, Corona, Gendergerechtigkeit, Ukraine-Krieg und Inflation. Dann fand eben noch die Fußball-EM der Frauen statt, bei der sich viele Sponsoren stark reingehängt haben, und nun steht schon die WM vor der Tür“. Außerdem seien heutzutage die Anforderungen an Marketingverantwortliche deutlich größer, auch Sponsoring sei früher nicht so komplex gewesen. „Und wenn man sich als Vertreter des Unternehmens zu Menschenrechten äußern soll, muss alles durchargumentiert sein. Alles muss sitzen. Patzer darf man sich da nicht erlauben.“ Insofern habe Ohl Verständnis dafür, dass sich die Unternehmen aktuell nicht äußern wollen. Der auf Krisenkommunikation spezialisierte Hendrik Schulze van Loon von der Agentur Orca van Loon ist da anderer Meinung und sagt: „Das ist schon der erste Fehler: nichts zu kommunizieren. Schließlich kann man nicht nicht kommunizieren. Im besten Fall sind wir PR-Arbeitende doch Partner des Journalismus.“

Tatsächlich wurde es Unternehmen in der Vergangenheit vor allem in den sozialen Netzwerken immer wieder zum Vorwurf gemacht, dass sie sich zu kritischen Themen kaum oder gar nicht äußerten. Nach dem Motto: Wer nichts zu den Missständen sagt, dem ist es offenbar egal. Kommunikationsfachmann Ohl ist sich sicher, dass es nicht beim aktuellen Schweigen und Nichtstun bezüglich der WM 2022 bleiben und die Strategie Aussitzen nur von wenigen verfolgt wird. „Es wird definitiv Sponsoren geben, die die Plattform WM für ihre Marketingkommunikation nutzen werden.“ Die Frage ist nur, wie sie das tun werden und wie sie es am besten tun sollten? Eine erste Antwort liefert der Blick in die Vergangenheit.

Lösungsansatz 2: Athleten kommunikativ in den Fokus rücken, nicht die WM

Grundsätzlich ist es kein völlig neues Thema, dass es den Sponsoren einer Großsportveranstaltung aufgrund öffentlicher Kritik schwerfällt, das Event für ein positives Aufladen ihrer Marke zu nutzen. Es gibt einige Beispiele, wo einst zweifelsfrei positiv konnotierte Sportereignisse drohten, zu „faulen Eiern“ im Werbepartner-Portfolio zu mutieren: die Tour de France mit ihren Dopingskandalen etwa oder die Olympischen Spiele in Rio 2016 mit den Beschwerden über das Zika-Virus, Korruption und die unrechtmäßige Vertreibung von Einwohnern bei den Baumaßnahmen. Auch die FIFA WM 2018 in Russland oder die Olympischen Spiele in Sotchi 2014 und in Peking 2008 sowie 2022 fallen in die Kategorie der Sportgroßevents, die vor Beginn durch öffentliche Kritik massiv abgewertet wurden.

Eine Strategie, wie Sponsoren das Schöne des Sports und nicht die Probleme und Kritik in den Fokus rücken können, lautet: Wir werben mit den Athleten, machen mit ihnen Aktionen und spinnen das werbliche Storytelling um sie herum mit ihnen als Kern – und eben nicht mit der WM oder dem Ausrichterland. 2016 hatte SPONSORs diese Strategie im Vorfeld der Olympischen Spiele in Rio umfassend in einem Artikel thematisiert und einige Argumente geliefert, dass so etwas auch bei viel öffentlicher Kritik gut funktionieren kann. Wobei es Sponsoren bei den Olympischen Spielen mit ihren vielen Einzelsportarten wohl etwas leichter haben, nah am einzelnen Athleten zu sein, als die Sponsoren einer Mannschaftssportart wie Fußball. Auch ist es kommunikativ „ein großer Unterschied, ob man Sponsor der Veranstaltung ist oder von einer Mannschaft beziehungsweise einem nationalen Fußballverband“, sagt Rüdiger Ohl. Klar: Einem Sponsor eines nationalen Verbandes wie des DFB fällt es leichter, damit zu werben, dass man die einzelnen Spieler unterstützt. Bei einem offiziellen Sponsor der FIFA WM 2022 drängt sich hingegen vielmehr die Assoziation auf, dass man der Veranstaltung an sich und dem Ausrichter behilflich ist. Für die FIFA-Sponsoren ist es auch deutlich schwieriger, auf die öffentliche Kritik mit Protestaktionen oder Boykott zu reagieren – so wie es sich die Mehrheit der von FanQ befragten Fans als Reaktion der Sponsoren und des DFB wünscht. Nationale Partner tun sich da leichter.

Lösungsansatz 3: Protestaktionen und Boykott von nationalen Sponsoren

Der Hauptsponsor der niederländischen Fußballnationalmannschaft setzt auf diese Strategie und verzichtet auf einen Auftritt bei der WM. „Die Menschenrechtslage im Land ist der Grund, warum wir dieses Mal nichts machen“, sagte ein Sprecher der Bank ING der Tageszeitung „De Telegraaf“. Demnach bestellte das Unternehmen nicht wie sonst üblich WM-Eintrittskarten für Mitarbeitende und Gäste. Zudem erklärte der Konzern, verstärkt auf die niederländische Frauen-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in diesem Jahr zu setzen. Der Schriftzug ING wird aber weiter auf den Shirts der niederländischen Männer-Mannschaft zu sehen sein. Auch weitere Sponsoren der „Elftal“ wie die Supermarktkette Albert Heijn, der Telekommunikationskonzern KPN, die niederländische Lotteriegesellschaft Loterij und die Krypto-Börse Bitvavo werden in Katar nicht anwesend sein.

Eine Strategie, die bei deutschen Fußball-Fans wohl punkten könnte, wenn man sich die Umfrage-Ergebnisse von FanQ anschaut. Kommunikationsexperten sehen das kritischer: „Mit Protestaktionen allein kommt man nicht weiter“, sagt Rüdiger Ohl. „Dafür hat so ein Großevent wie eine Fußball-WM einfach ein zu großes Gewicht, als dass man sagen könnte: ‚Wir kommen nicht und boykottieren alles‘. Das ist nicht der richtige Ansatz. Verweigern ist keine Lösung für einen Sponsor.“ Kilian Weber sieht es ähnlich und sagt: „Den Sponsoren fällt der richtige Umgang mit der WM schwer und der Wert des Sponsorships für sie hat offenkundig sehr gelitten.“ Es sei allerdings „realitätsfern, dass die Sponsoren die WM komplett boykottieren. Ich glaube eher, dass es ein gangbarer Weg ist, sich zu positionieren, und dass sich die Unternehmen sagen: ‚Wir aktivieren nicht vor Ort in Katar und nur maßvoll im eigenen Zielmarkt, um nicht noch mehr mit dem Gastgeberland in Verbindung gebracht zu werden‘“. Damit streift der FanQ-Geschäftsführer einen Schwachpunkt der Boykott-Strategie: Für einen glaubwürdigen Verzicht ist eine klare Positionierung seitens des Sponsors nötig, der zudem mit entsprechenden Handlungen untermauert werden muss. Wer nur sagt, dass ihm Menschenrechte wichtig sind, aber nichts wirklich aktiv dafür tut, der macht sich schnell verdächtig, es nicht ernst zu meinen.

Raphael Brinkert kennt derartige Beispiele. „Wir leben in einer Zeit, in der demokratische Werte zu lokal ausgesteuerten Verkaufsargumenten globaler Sponsoren verkommen. Die Demokratie ist leider kein Verkaufsschlager, wie wir angesichts der Negativ-Entwicklungen vielerorts sehen. Das Resultat ist, dass globale Unternehmen sich den Zielmärkten anpassen, ihre Kampagnen regional aussteuern und damit unfassbar unglaubwürdig werden. Man sieht es, wenn man sich die unterschiedlichen Instagram-Seiten eines globalen Unternehmens anschaut und erkennt, in welchen Ländern das Unternehmen sich mit der Regenbogenfahne oder der Black-Lives-Matter-Bewegung zeigt und in welchem nicht.“ Beim Thema Positionierung und beim Zeigen einer freiheitlich-demokratischen Haltung können Sponsoren also durchaus einiges falsch machen. Aber wie könnte es besser funktionieren?

Lösungsansatz 4: Purpose-Driven statt reines Absatzmarketing

Rüdiger Ohl sagt, zunächst sollten Sponsoren die eigene Haltung und die Ziele überprüfen. „Dabei ist man erst mal weg von der typischen Markenkommunikation. Natürlich hat man weiterhin Absatzziele, die mit dem Sponsoring verfolgt werden. Es muss aber eine gute Balance geben und verstärkt der Purpose-Driven-Ansatz verfolgt werden. Diesbezüglich müssen sich die Sponsoren fragen: ‚Welche Botschaften möchte ich setzen?‘“ Um es etwas konkreter zu machen: Hat ein Sponsor für sich festgelegt, dass er beim Marketing das Thema Menschenrechte fokussieren möchte, muss er laut dem Managing Partner von Brands and Emotions nicht gleich auf Kunden-Einladungen nach Katar verzichten. „Stattdessen könnten die Sponsoren überlegen, welche Kunden sie zur WM einladen und wie sie das tun: Zusammen mit der Einladung könnte die Haltung zu Menschenrechten kommunikativ übertragen werden. Dabei ist ein sensibler Umgang mit den komplexen Themen gefragt, was dann letztlich besser ist als eine Haudrauf-Protestaktion.“ Die im Unternehmen entwickelte Haltung sollte „360 Grad“ auf allen Kanälen kommuniziert werden. Nicht nur vor dem Event, sondern auch währenddessen und danach. Also am besten immer, so Ohl weiter. „Zudem sollten Grassroots-Projekte angeschoben werden, wie es zum Beispiel VW beim Kinderhilfswerk Terre des Hommes macht.“ Durch solche Projekte wirke die Positionierung glaubwürdiger.

Eine Frage bleibt aber: Wie kann ein Unternehmen, das für sich als wichtiges Ziel die Einhaltung der Menschenrechte definiert hat, nachvollziehbar begründen, dass es sich bei der FIFA WM 2022 in Katar als Sponsor engagiert? Die Antwort, die dazu oft kommt, stammt von Nelson Mandela, der einst sagte: „Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern.“ Ohl zufolge gibt es dafür viele Beispiele. „So hat etwa der Frauenfußball dem Thema Gender-Gerechtigkeit spürbar geholfen, wie zuletzt bei der Frauen-EM zu merken war. Da haben die Sponsoren das Thema Frauenfußball angenommen und kommunikativ gepusht.“ Auch beim Thema Diversität habe der Sport geholfen, dass es Fortschritte zumindest in der gesellschaftlichen Debatte gebe. Fahrner von der Universität Tübingen ist sich da nicht so sicher: „Mir ist kein einziges empirisches Beispiel bekannt, dass eine Sportgroßsportveranstaltung einen autoritär geführten Staat nachhaltig verändert hat. Im Gegenteil: Solche Events wirken eher stabilisierend für die bestehenden Regierungen.“

Tatsächlich scheint die Kraft des Sports überschätzt, wenn man sich beispielsweise die Entwicklungen in China nach den Olympischen Spielen 2008 und 2022 oder die in Russland nach Sotchi 2014 und der FIFA WM 2018 anschaut. Ohl hält dagegen und sagt, es sei „eine Frage des Maßstabs. Auch kleine Schritte sind schließlich Schritte. Es ist schon richtig: Eine Kultur überzustülpen hat noch nie geklappt. Einen Mind Change in gewissem Maß kann man aber über Impulse durchaus erreichen“. Letztlich ist das wohl fast schon eine philosophische Diskussion, die jede Unternehmensführung für sich selbst beantworten muss. Für Fahrner ist diese Debatte für die Sponsoren mit Blick auf ihre Stake- und Shareholder aber notwendig. „Selbst wenn man relativierend fragen kann, ob Sport wirklich einem höheren moralischen Anspruch gerecht werden muss. Letztlich ist speziell der Profifußball auch Business.“ Schulze van Loon ergänzt: „Generell muss man sich als Sponsor fragen: Wollen wir dafür stehen? Oder müssen wir einen ethischen Kompass haben, nach dem wir Ausbeutung nicht über Sponsoring unterstützen können?“ In der Beratung würde der Kommunikationsfachmann davon abraten, dass sich ein Unternehmen als Sponsor der FIFA engagiert. „Damit würden sich alle weiteren Fragen, wie man sich als Sponsor der WM 2022 verhalten sollte, erübrigen.“ Diejenigen, die nicht auf das Großereignis und die dadurch garantierte globale Aufmerksamkeit in gigantischem Ausmaß verzichten wollen oder können, sollten sich zumindest so gut wie möglich vorbereiten. Auf das, was da an öffentlicher Kritik heranzurollen droht.  

Lösungsansatz 5: Krisenprävention durch gute Vorbereitung

Wenn ein Verzicht auf ein Sponsoring bei der WM keine Option ist – aufgrund der weiter oben dargestellten Gründe oder einfach, weil es sonst die Konkurrenz machen würde –, dann sollte das Wort „Krisenprävention“ ganz oben auf der To-do-Liste stehen. „Wenn man es klassisch nach Lehrbuch angeht, steckt man als Sponsor der WM 2022 viel Arbeit in eine gute Vorbereitung“, sagt Schulze van Loon. „Man überlegt zum Beispiel, was für Fragen aufkommen könnten und wie man als Unternehmen darauf reagieren könnte.“ Viel Präventionsarbeit also, mit der man es bestenfalls schafft, dass es nicht zu einer Krise etwa durch einen veritablen Shitstorm kommt und somit auch keine Krisenkommunikation zum Einsatz kommen muss. „Für den Fall, dass eine Krisenkommunikation nötig ist, entwirft man vorher einen Leitfaden“, so Schulze van Loon weiter. „In dem steht, was man für den Fall einer Krise machen kann. Dass man beispielsweise eine Telefon-Hotline einrichtet, eine sogenannte Dark-Page aufbaut, die man dann nötigenfalls online stellt. Oder dass man Medientraining mit dem Vorstand des Unternehmens durchführt, der im Krisenfall mit dem Kommunikationsverantwortlichen als Sprecher der Firma auftritt.“ Auch Personal und Hardware sollten vorab für den Fall geplant werden, dass das Unternehmen durch öffentliche Kritik schwer unter Druck gerät und das Geschäft gefährlich gestört wird. Klingt insgesamt nach einer mühsamen Vorbereitung. Vielleicht ist es da ratsamer, auf Raphael Brinkert zu hören: „Sponsoren, die Haltung verlangen, sind besser beraten, wenn sie auf nationale als auf globale Assets setzen.“

Köln statt Katar, Frankfurt statt FIFA, Werder statt WM – nicht die ganz große Bühne, aber auch attraktiv, unbedenklich und viel günstiger.

Titelfoto: picture alliance / PIXSELL | Igor Kralj

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