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07. Okt. 2022

Powerhouse statt Pommesbude

Einst dominierten Traditionsvereine die Fußball-Bundesliga. Doch längst haben kleine, flinke Vereine vielen Großclubs den Rang abgelaufen. SPOBIS geht den Ursachen hierfür auf den Grund und zeigt, was die Großen von den Kleinen lernen können.

Als der HSV im April 2022 im DFB-Pokal-Halbfinale den SC Freiburg empfing, traf der sechsmalige Deutsche Meister und zweimalige Europapokal-Gewinner auf den vermeintlichen Underdog aus dem Breisgau. Dabei haben die Freiburger den Hamburgern längst den Rang abgelaufen. Die einen ackerten im tristen Zweitliga-Alltag für den heiß ersehnten Wiederaufstieg, die anderen waren im Rennen um die Champions League dabei. Freiburg zog durch ein souveränes 3:1 in das Pokalfinale in Berlin ein. Es war keine Momentaufnahme, sondern das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Während sich der SC Freiburg durch gefestigte Strukturen zu einer feinen Adresse in der Bundesliga gemausert hat, müssen die Hamburger nach lange anhaltender Misswirtschaft und sportlicher Talfahrt strukturell erst wieder gesunden.

Beim Blick auf den deutschen Profifußball wird deutlich, dass viele Traditionsclubs, darunter ehemalige Deutsche Meister und sogar Europacup-Größen, chronisch straucheln, spielerisch wie finanziell. 2021/22 mussten der HSV, Schalke 04 und Werder Bremen in der Zweiten Liga antreten. Auf der anderen Seite sind kleine, wendige Clubs wie der SC Freiburg, Mainz 05 oder der FC Augsburg längst Dauergäste in der Bundesliga. Gibt es strukturelle Ursachen, die diesen Trend manifestieren, und was können die Großen von den Kleinen lernen? SPOBIS ist dieser Frage nachgegangen, hat mit Experten aus dem näheren Umfeld gesprochen und beleuchtet Aspekte, die von großen äußeren Einflüssen über die Transferpolitik bis hin zum Zusammenspiel von sportlicher und finanzieller Leitung reichen.

Störfeuer von außen kleinhalten

Der SC Freiburg hat zwar bereits 118 Jahre auf dem Buckel, ist aber erst 1993 erstmals in die Bundesliga aufgestiegen. Die Arbeit der Breisgauer lässt sich wohl mit ruhig und nachhaltig treffend beschreiben. Bei vielen Traditionsvereinen mit langer Historie im Profifußball ist dagegen ein Selbstanspruch erwachsen, der nicht von dem gedeckt ist, was ein Verein objektiv leisten kann. So schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schon 2015 von der „Agonie der Bundesliga-Dinos“: „Zu viel Eitelkeit, zu wenig Kompetenz. Zu viel Beharrung, zu wenig Erneuerung. Die großen Clubs wie der Hamburger SV, Hannover 96, Hertha BSC oder der VfB Stuttgart finden keine Mittel mehr, um den Niedergang aufzuhalten!“

Gruppen um diese Vereine üben Druck aus und schüren Unruhe. Dies fängt bei der Erwartungshaltung einer großen Fan-Schar an und reicht über den Sponsoreneinfluss bis hin zu chronisch nervösen Medien. Das ist bei Clubs wie dem SC Freiburg oder dem FC Augsburg nicht so. „Sie haben durch ein geordneteres Umfeld ein klares Bild über ihren natürlichen Platz auf dem Feld und in der Tabelle: ,Wenn es gut läuft, kratzen wir an europäischen Geschäften, wenn schlecht, dann steigen wir mal ab‘. Und daran stört sich keiner“, sagt Thomas Röttgermann, bis Februar 2022 Vorstandschef beim heutigen Zweitligisten Fortuna Düsseldorf. Er weiß, wovon er redet, die Fortuna stand 1979 im UEFA-Pokalfinale gegen den FC Barcelona, war zwischen 1971 und 1987 in der Bundesliga und spielte zwischenzeitlich sogar in der Oberliga. Die Liste der abgestürzten Traditionsvereine ist lang. Einstigen Meistern wie 1860 München und dem 1. FC Kaiserslautern zog die Mischung aus Missmanagement, personellen Fehlkalkulationen und Selbstüberschätzung den Boden unter den Füßen weg. Sie spielen jetzt in der 3. Liga. 

HSV-Spieler lassen die Köpfe nach einer Niederlage hängen. (Foto: picture alliance/dpa | Christian Charisius)

HSV-Spieler lassen die Köpfe nach einer Niederlage hängen. (Foto: picture alliance/dpa | Christian Charisius)

„Große, träge“ Clubs, wie Frank Wettstein, zwischen 2014 und Anfang 2022 Finanzvorstand beim HSV, sie nennt, würden „dazu neigen, wiederkehrend unrealistische sportliche Ziele zu verfolgen“. Doch bei der Zielfestsetzung fehle eine ausreichende Würdigung der Wettbewerbsposition, getreu dem Motto, dass an historische Erfolge anzuknüpfen sei. Was diese Clubs von den „kleinen, wendigen“ Vereinen lernen könnten, sei „die Festlegung von realistischen, langfristigen Zielen unter Inkaufnahme kurzfristiger Rückschläge und Beibehaltung der wirtschaftlichen Stabilität“, so Wettstein.

Das Problem einer gewissen Erwartungshaltung im Umfeld, unter dem die genannten Vereine vor allem auch aufgrund ihrer Erfolge aus der Vergangenheit leiden, hat auch Werder Bremen gespürt. Es gibt ein deutlich emotionaleres, aggressiveres Umfeld, ein Flechtwerk aus Fans, Sponsoren sowie medialer Erwartungshaltung. Dieses Potpourri erzeugt bei den Großclubs ein permanentes Grundrauschen. Auch Altvordere mit ihrem „Damals-war-alles-besser-Syndrom“ verschafften sich an der Weser Gehör. Bis in die Gremien hinein wurde somit Unruhe geschürt. Im Aufsichtsrat traf dann der Werder-Ex-Manager und SPD-Politiker Willi Lemke auf den Fußball-Moderator Jörg Wontorra. Eine bunte Gemengelage. Jeder kochte sein Süppchen und brachte seine Eitelkeiten mit.

Vereine wie Mainz, Freiburg, Augsburg, auch der VfL Bochum oder Union Berlin haben hingegen eine komplett andere Erwartungshaltung. Es wird hier fokussierter und nachhaltiger gearbeitet. „Die Clubs genießen eine geringere öffentliche Aufmerksamkeit, werden als Underdogs angesehen, bei denen auch Fehler verziehen werden können, denen man gern hilft und für deren Gegner das jeweilige Spiel eben nicht das ,Spiel des Jahres‘ oder zumindest ein Saison-Highlight ist“, sagt Wettstein. Durch die Reserviertheit der einzelnen Gremien wird zudem Druck vom Kessel genommen. Die Managements von Traditionsvereinen müssen dagegen fortwährend Initiativen und Aktivitäten um den Verein herum abwehren.

Der HSV stieg 2018 nach lang anhaltender sportlicher und finanzieller Talfahrt erstmals ab. Längst waren die „Rothosen“ zum Gespött der Liga mutiert. Das verstärkte sich auch noch durch drei vierte Plätze in der 2. Bundesliga und somit knapp verpasste Aufstiege zurück ins Oberhaus. Ein ähnliches Zerrbild zwischen Wunsch und Wirklichkeit gibt der Hauptstadtverein Hertha BSC ab. Im Juni 2019 stieg der Unternehmer Lars Windhorst bei der klammen „Alten Dame“ ein und erklärte sein Engagement mit der Begeisterung für den „Big City Club“. Seitdem wurden zwar 374 Millionen Euro von Windhorsts Tennor Holding an die Hertha überwiesen. Der Club verschliss in dieser Zeit dennoch vier Trainer und spielte dreimal bis kurz vor Saisonende gegen den Abstieg.

Auch wenn Herthas Ex-Manager Dieter Hoeneß einst vom „schlafenden Riesen“ sprach, scheint die Größe eines Fußball-Standortes eher ein Hemmschuh zu sein, als sportlichen Erfolg zu begünstigen – München und Dortmund bilden hier die Ausnahmen. Gerade in den Metropolen stehen die Traditionsclubs zudem unter dem Brennglas einer chronisch erhitzten Öffentlichkeit. Zudem sorgen Medien für Unruhe und die lokale Boulevardpresse versucht oft auch, Vereinspolitik massiv zu beeinflussen. Auch das Selbstverständnis der Stadt selbst, die meint, eine wichtige Rolle im nationalen Konzert spielen zu müssen, überträgt sich auf den Verein.

Sportlicher Erfolg durch personelle Konstanten

Freiburgs Chefcoach Christian Streich ist seit 2012 im Amt. In dieser Zeit beschäftigte der HSV inklusive Übergangslösungen 14 Trainer. Viel wichtiger, als schnelle Erfolge zu feiern, ist es beim SC Freiburg, an einem Konzept festzuhalten. Man wolle zu den 20 besten Clubs Deutschlands gehören, lautet seit jeher das Mantra. Das heißt, ein Abstieg ist immer auch in die Planungen integriert und sportlich wie finanziell kompensierbar. Von Streich über Sportvorstand Jochen Saier und den jetzigen Sportdirektor Klemens Hartenbach bis hin zu den Assistenztrainern Patrick Baier und Lars Voßler stammen die Verantwortlichen aus der 2001 gegründeten „Freiburger Fußballschule“. Und die liefert seit Jahren zuverlässig gute Spieler für die erste Mannschaft, die dann häufig gewinnbringend weiterverkauft werden. Eine Strategie, die aufzugehen scheint. Freiburg spielte seit 2010 nur in einem Jahr nicht in der Bundesliga. Der FC Augsburg ist seit 2011 und Mainz sogar seit 2009 Dauergast im Oberhaus.

Anders der Großverein VfB Stuttgart. Während die Schwaben circa 72 500 Mitglieder haben, sind es bei der badischen Konkurrenz rund 30 000. Doch sportlich haben sich die Machtverhältnisse der beiden regionalen Konkurrenten längst umgedreht. Der VfB stieg in den letzten fünf Spielzeiten zweimal ab und entwickelte sich in Liga eins zum Dauerpatienten. Mittlerweile setzt der Verein auf personelle Kontinuität, vor allem auf dem Trainerposten. Thomas Hitzlsperger, bis Ende März Vorstandsvorsitzender des VfB, und Sportchef Sven Mislintat stellten sich trotz fehlender Ergebnisse demonstrativ hinter Coach Pellegrino Matarazzo. Das ist neu, denn zuvor hatte man, ähnlich wie beim HSV, in nur einer Dekade ein Dutzend Cheftrainer kostspielig verschlissen.

Die sportlichen Ziele müssen bei den einen sofort erreicht werden, woanders wird eine Mannschaft behutsam aufgebaut und an den relativen und erreichbaren Erfolg herangeführt. Natürlich gibt es hier auch typische Mechanismen der Branche wie vorzeitige Trainerwechsel, aber der eigentliche sportliche Worst Case, der Abstieg hieße, wäre für solche Vereine nicht existenzbedrohend. Für Traditionsclubs ist er das aber häufig, weil sie ihren Kader und ihre wirtschaftliche Situation auf eine dauerhafte Bundesliga-Zugehörigkeit, meist im oberen Drittel, ausgerichtet haben.

Bei vielen Traditionsvereinen werden – etwas zugespitzt gesagt – die Transfers gemacht, um sofort sportliche Ziele zu erreichen. Das heißt aber auch, neu eingekaufte Spieler müssen sofort funktionieren. Transfers, die nicht solide finanzierbar sind, werden gefordert und häufig auch getätigt. Sie sollen die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit füllen. Dieses riskante Verhalten hätte den HSV, Werder oder Schalke fast in den Ruin getrieben. Einst mit Europapokal-Einnahmen geplante Kader wurden gehalten, auch nachdem der sportliche Erfolg ausblieb, und so wurde viel Geld verbrannt. Bernd Hoffmann, zwischen 2002 und 2011 und von 2018 bis 2020 Vorstandsboss beim HSV, sagte einmal, das Ziel eines Proficlubs sei größtmöglicher sportlicher Erfolg unter Vermeidung der Insolvenz. Auch die Durchlässigkeit ist bei den Traditionsclubs geringer ausgeprägt, Spieler aus dem Nachwuchsleistungszentrum haben weniger Chancen, in der ersten Mannschaft Fuß zu fassen. Noch in der Saison 2020/21 verpflichtete der HSV in der Zweiten Liga teure „Säulenspieler“ wie Torwart Sven Ulreich oder Angreifer Simon Terodde. Mittlerweile setzen auch die Hanseaten auf junge, entwicklungsfähige und vor allem günstigere Spieler.

Sportliche und finanzielle Führung müssen aus einem Guss sein

Besonders wichtig ist im Profifußball die enge, auf Kontinuität basierende Zusammenarbeit zwischen sportlicher und finanzieller Führung. Es geht darum, auch nach kontroversen Diskussionen immer Verständnis für die andere Seite aufzubringen, sodass es zu einem idealen Szenario für den Gesamtverein kommt. „Zwischen der sportlichen und finanziellen Leitung muss es eine komplette Identität der Zielsetzungen geben. Wenn man in der Geschäftsführung nicht einig ist, kann man einen Kurs gar nicht glaubwürdig vertreten und schon gar nicht umsetzen“, so Röttgermann. Auch hier ist Freiburg ein Paradebeispiel für solides Arbeiten, der eine redet dem anderen nicht rein. Jochen Saier ist seit 2013 Sportdirektor beim Sport-Club, sein Vorstandskollege Oliver Leki verantwortet ebenso lange die Finanzen im Verein. Damit bildet die Troika, ergänzt durch Streich, nicht nur eine zeitliche, sondern auch inhaltliche Konstante ab. Der Umsatz stieg in dieser Zeit von 70 auf 110,1 Millionen Euro.

Auch beim Bundesligisten Mainz 05 herrscht allein aufgrund dreier entscheidender Personalien – Trainer, Sportchef, Vorstand – Einigkeit. Chefcoach ist Ex-Spieler Bo Svensson. 2015 wurde er zunächst Co-Trainer bei den Rheinhessen, anschließend bis 2019 Nachwuchscoach,  2021 übernahm er die Profis. Martin Schmidt ist seit Ende 2020 Sportdirektor in Mainz. Von 2015 bis 2017 war er hier Cheftrainer, zuvor fünf Jahre Co-Trainer. Christian Heidel war bereits zwischen 1992 und 2016 Manager bei Mainz, auch in den Zeiten der beiden Trainer Jürgen Klopp und Thomas Tuchel, die mittlerweile zu den besten Trainern der Welt gehören und Liverpool und Chelsea coachen. Heidel arbeitete zwischen 2016 und 2019 für Schalke, bevor er 2020 nach Mainz zurückkehrte. Nachhaltiges Arbeiten im ruhigen Umfeld ist ihm lieber, als zu viele verschiedene zerstrittene Abteilungen zu moderieren. Auch beim FC Augsburg ist Ex-Nationalspieler Stefan Reuter bereits seit 2012 als Geschäftsführer Sport die Schnittstelle zwischen Trainer und finanzieller Leitung, die bei Michael Ströll liegt. Es sei auch bei den Fuggerstädtern „ein essenzieller Faktor, auf den Longrun zu schauen, wenn etwas erfolgreich werden soll“, heißt es aus FCA-Kreisen.

Anders beim HSV. Der Traditionsclub beschäftigte seit 2013 sechs Sportdirektoren. Darunter waren so kluge Köpfe wie Peter Knäbel, der jetzt Schalker Sportvorstand ist, oder der ehemalige Hockey-Nationaltrainer Bernhard Peters. Sie alle mussten sich ihre Reputation nach ihrer Zeit an der Elbe erst wieder zurückerobern, ebenso wie Ralf Becker, heute Manager bei Dynamo Dresden, oder Jens Todt. Todts Rauswurf nach 25 Spieltagen in der Abstiegssaison 2017/18 war die erste Amtshandlung Bernd Hoffmanns. Kurz zuvor war dieser über einen Winkelzug wieder an die Macht gelangt, zunächst als Aufsichtsratschef. Auch Vorstandsboss Heribert Bruchhagen, dessen Posten Hoffmann wenig später übernahm, flog raus. Zwischendurch waren beim HSV vier Trainer auf der Gehaltsliste, jeder war mit einem anderen sportlichen Konzept gekommen.

Einzige personelle Konstante war in dieser Zeit Finanzchef Wettstein. Doch anstatt positive Bilanzen zu veröffentlichen und sportliche Erfolge zu feiern, betrieb er eher Mängelverwaltung. In seiner Amtszeit sank der HSV-Umsatz von 142,2 Millionen auf 55,8 Millionen Euro. Heute sagt er: „Um den immer höher werdenden Zielen gerecht zu werden, fordern Entscheidungsträger mit sportlicher Verantwortung eine Maximierung der sportlichen Budgets.“ Das seien „nicht nur Trainer, Manager und Sportvorstände, sondern auch Vorsitzende der Geschäftsführung, Vorstandsvorsitzende, Aufsichtsräte, Präsidien“, denn auch diese würden in der öffentlichen Wahrnehmung am sportlichen Erfolg gemessen. Wettstein: „In einer solchen Situation kommt es innerbetrieblich aber zwischen den sportlichen und wirtschaftlichen Zielen zu einem Konflikt, da mit der Maximierung von Budgets zusätzliche wirtschaftliche Risiken verbunden sind.“

Eintracht Frankfurt galt lange Zeit ebenfalls als „strauchelnde Diva“. Der Deutsche Meister von 1959, Europapokalsieger und fünfmalige DFB-Pokalsieger spielte seit 1996 insgesamt sechs Spielzeiten in der 2. Bundesliga, das letzte Mal 2012. Heute sind die Frankfurter ein Musterbeispiel für einen Traditionsclub, der nach chronischer Misere die Kurve gekriegt hat. 2018 gewannen die Hessen den nationalen Pokal und setzten 2021/22 zu einem furiosen Ritt in der Europa League an.

Fredi Bobic (links) und Nico Kovac nach dem DFB-Pokalsieg 2018. (Foto: picture alliance / Arne Dedert/dpa | Arne Dedert)

Fredi Bobic (links) und Nico Kovac nach dem DFB-Pokalsieg 2018. (Foto: picture alliance / Arne Dedert/dpa | Arne Dedert)

Der Grund für den Umschwung sind auch hier mit Augenmaß agierende Personen gewesen. „Der Wechsel kam mit Nico Kovac und Fredi Bobic“, sagt Thomas Kilchenstein, langjähriger Eintracht-Experte und Reporter bei der „Frankfurter Rundschau“. Beide stießen 2016 zum Club, der eine als Trainer, der andere als Vorstand Sport. Bobic, der seit Sommer nun versucht, die Berliner Hertha auf Kurs zu bringen, drehte stets in Absprache mit dem bis in die Haarspitzen akribischen Kovac, der anschließend zum FC Bayern wechselte, vor allem die Transferpolitik auf links. Flankiert wurde ihre Arbeit vom umsichtigen Vorstandsboss Axel Hellmann. Frankfurt erwirtschaftete in dieser Zeit ein Transferplus von 36,48 Millionen Euro. Der Wirtschaftswissenschaftler Henning Zülch sagt: „Entscheidend ist: Sind die Führungsstrukturen mit einem sportlichen wie wirtschaftlichen Fach-Know-how ausgestattet oder entwickeln sie sich aus dem eigenen Saft heraus? Dann herrscht Stillstand. Besitzstandswahrung herrscht vor.“

Markenidentität erhöhen durch Nahbarkeit

Christian Streich plaudert nach Spielende, wenn die Emotionen abgekühlt sind, gern mal mit Fans. Anschließend fährt er mit seinem Rad heim. So stellt man sich das badische Idyll am Schwarzwaldrand vor. Nahbar wird hier die Marke SC Freiburg noch gelebt. Im regionalen Radio wird Streich gehypt, als wäre er ein Popstar. Doch abgehoben wirkt er eben nicht. Was Streich auszeichnet und sich gut für den Freiburger Markenkern eignet, ist seine Authentizität. Untermauert wird dies durch seinen badischen Dialekt. Für Hochdeutsch sprechende ist das manchmal ein schwer verständliches Kauderwelsch, aber immer ehrlich und direkt.

„Sponsoren aus der Region, die mit den Vereinen eine hohe Identifikation schaffen und in sie investieren, sind viel mehr wert, als wenn zwei, drei Personen Geld reinpumpen, bei dem nicht klar ist, wo das Geld herkommt und was deren Motive sind“, betont der Wirtschaftswissenschaftler Henning Zülch. Bei Hertha BSC seien beispielsweise am Anfang Lücken gefüllt worden, obwohl in Strukturen hätte investiert werden sollen. „Langfristiges, basisstrategisches Denken führt zu langfristigem Erfolg“, so der Experte.

Dabei ist die schiere Größe meist Fluch und Segen zugleich, gerade auch aus marketingstrategischen Gesichtspunkten. So nahmen Vereine wie der HSV oder Schalke neben einer treuen Anhängerschar vor allem auch die Marke mit ihrer Strahlkraft in die 2. Bundesliga mit. Diese Traditionsvereine seien vom Markenkern her vor allem „Clubs mit einem hohen Identifikationspotenzial, sowohl in der Region als auch überregional“, sagt Zülch. „Es gibt viele Clubs, die eigentlich eine internationale Strahlkraft hätten.“ Hamburg sei sinnbildlich das „Tor zur Welt“, Köln ist eine Domstadt, Berlin sogar eine Weltmetropole. „Sie verstehen sich aber als Regionalclubs und denken gar nicht global. Da fehlt die Strategie“, kritisiert Zülch. Einige Traditionsvereine würden „geführt wie eine Pommesbude“. Sie hätten „keine Anpassungsfähigkeit an neue Gegebenheiten. Man hat nicht die Organisationsstrukturen angepasst, hat sich nicht mit neuen Geschäftsmodellen auseinandergesetzt, neue Trends ignoriert“. In der Summe habe die Durchschlagskraft gefehlt.

Dabei haben Traditionsclubs beim Marketing und Sponsoring prinzipiell Vorteile. Sie sind zumindest international orientiert, erreichen auch digital mehr Leute. Starke Marken können aber auch Gefahren bergen. Der Sportbusiness-Experte Christian Gruber schrieb schon 2019 in einem SPOBIS-Gastbeitrag: „Dort, wo die Verantwortlichen aus rein populistischen Gründen den Wortführern der aktiven Fanszene folgen, stellt sich selten bis nie glaubwürdige Markenidentität ein.“ Dass es anders geht, hat wieder einmal Eintracht Frankfurt gezeigt. „Vor zehn Jahren war das noch der Randale-Club“, so Zülch. Durch die Aktion in Barcelona, wo beim Europa-League-Spiel beim spanischen Top-Club 30 000 Eintracht-Fans in schneeweiß mit Adler auf der Brust ihr Team ins Finale peitschten, sei „eine unfassbare Markenidentität“ geschaffen worden.

Auch Freiburg will hier mit dem neuen Europa-Park-Stadion schrittweise aufholen, ohne den regionalen Markenkern aufzugeben. Es wurde im Oktober 2021 eröffnet, Anfang April 2022 war es beim Spiel gegen den FC Bayern nach Ende der Corona-Restriktionen zum ersten Mal mit 34 700 Zuschauern ausverkauft. Europa kann also kommen. Dennoch wird im Breisgau akzeptiert, dass der 200 Kilometer entfernt spielende VfB Stuttgart ein viel größeres Einzugsgebiet abdeckt. Schnell sind die eigenen Kapazitäten ausgeschöpft. Das alte Freiburger Dreisamstadion war mit 24 000 Zuschauern permanent ausverkauft. Neues Fanpotenzial im Dreiländereck Deutschland-Österreich-Schweiz, selbst in der Region Südbaden zu rekrutieren, fiel da schwer.

Als dritte Gruppe lassen sich noch Vereine wie RB Leipzig, Bayer Leverkusen oder der VfL Wolfsburg identifizieren, die von Investoren oder Unternehmen geführt werden. „Sie profitieren von den professionellen Unternehmensstrukturen der Hauptsponsoren“, sagt Zülch. Wieder stellt sich die Frage nach der Identifikation. Leverkusen hat mittlerweile eine große Fanbasis. „Bayer ist ein strategisch wichtiger Partner und steht für Solidität“, sagt Zülch. Bei Wolfsburg sei hingegen alles in der Schwebe, auch nach 25 Jahren Bundesliga-Zugehörigkeit. 10.000 Zuschauer in der Champions League seien enttäuschend. Bei RB Leipzig hingegen sei die Identifikation nach neun Jahren Profitum in der Region nicht existent. Dennoch sieht Zülch hier Potenziale, die eher an US-amerikanische Fankultur erinnern: „Das ist doch die neue Generation. Lifestyle, Entertainment, erfolgreich.“  

So sind neue Trends in Sicht, die sich alle Vereine zunutze machen wollen. Durch spieltagsbezogene NFTs und E-Sport gibt es längst kreativere Erlösmodelle, auch das alte Mäzenatentum gilt längst als verstaubt. Die Emotionalität und Fankultur einiger herkömmlicher Traditionsvereine vertrage sich häufig nicht mit „zu innovativem“ Kommerz, sagt Dr. Konstantin Druker, Sportökonom und Operations Lead bei PwC Deutschland. Die Generation Z braucht andere Ansprachen. Es gebe aber auch erfolgreiche Gegenbeispiele, wie noch kürzlich Schalke mit der Lizenz für E-Sport im Fantasy-Bereich oder aktuell der FC St. Pauli, der spieltagsbezogene Kunst-NFTs anbietet. „Es hängt immer davon ab, wie man es den Stakeholdern, insbesondere den Fans, gegenüber kommuniziert und unter welchem Zweck man es aufhängt“, so Druker.

Geschäftsstelle verschlanken, Spieleretat reduzieren

Während der VfB Stuttgart rund 200 Mitarbeiter beschäftigt, sind es auf der Freiburger Geschäftsstelle 70. Von der Pressestelle über die Social-Media-Abteilung bis hin zur Vermarktung rotiert alles ähnlich, nur einige Nummern kleiner. Das Problem beim VfB oder auch beim HSV, der über 300 Angestellte hat oder Werder mit 180, ist, dass es bei einem Abstieg bei dieser Zahl bleibt. Um den eigenen Ansprüchen des Wiederaufstiegs gerecht zu werden, wird dieser „Wasserkopf“ samt Löhnen aufrechterhalten. Auch wenn ein Bremen-Kenner sagt, die quantitative Aufrechterhaltung der Geschäftsstelle sei eine „nicht relevante Größe“. Das meiste Geld verdienen die Spieler. Werder hat deswegen schon 2011 variable Spielerverträge aufgesetzt und zuletzt die Kaderkosten im Unterhaus von 47 auf 18 Millionen Euro reduziert. Immerhin mussten die Verantwortlichen, auch wegen der Pandemie, 2021/22 mit 80 Millionen Euro weniger Einnahmen kalkulieren. Man fahre nun einen harten Kurs bei den Einsparungen, werde sich wie Augsburg, Freiburg und Mainz in eine „wirtschaftlich vernünftige Reihe“ einordnen.

Augsburg beschäftigt auf der Geschäftsstelle 40 festangestellte Mitarbeiter und stellt sich auch hier bewusst klein und bescheiden auf. „Das ist ein Erfolgsfaktor. Es geht auch darum, dass wir für den Fall der Fälle gewappnet sind, jeder Mitarbeiter soll an Bord bleiben“, heißt es. Doch FC Augsburg stellt schrittweise sogar ein. Denn in elf Jahren Bundesliga sind die Ansprüche andere geworden, der Bekanntheitsgrad ist größer, die Ansprache fällt überregionaler, auch internationaler aus. Auch die Digitalisierung wird forciert und es wird sukzessive in mehr Mitarbeiter investiert. Immerhin liegt die Eigenkapitalbasis des FCA bei über 50 Millionen Euro. „Immer mit Maß und nicht überdrehen“, lautet das Credo. Auch hier können die Großen von den Kleinen lernen. Denn: „In dem Moment, wo du einmal nicht sportlich erfolgreich bist, fällt es dir komplett auf die Füße.“

Titelfoto: picture alliance / augenklick/Jürgen Fromme /firo | Jürgen Fromme

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